Am 31. Januar 1850 gab König Friedrich Wilhelm IV. in Charlottenburg dem Königreich Preußen die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat.
Der Weg zu dieser Verfassung war langwierig, steinig und ständig von Revolutionen bedroht, wie sie 60 Jahre zuvor in Frankreich ihren Ausgang nahmen und zuletzt in den für Preußen so fürchterlichen Ereignissen des Frühjahres 1848 gipfelten. Es war ein Kampf zwischen den Prinzipien einer links-libertären Demokratisierung nach französischem Vorbild und einer konservativen rechts-staatlichen Konstitutionalisierung des preußischen Königtums. Dass sich letzteres durchsetzte ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass nicht mehr und nicht weniger auf dem Spiele stand als das Erbe Friedrich des Großen. „Mit Gott für König und Vaterland.“ war schließlich keine reaktionäre Parole sondern gelebtes Preußentum, auf welchem die Souveränität Preußens von der Gründung des Königreichs bis hin zu den napoleonischen Befreiungskriegen fußte.
König Friedrich Wilhelm IV. selbst war durch die Entwicklungen in ganz Deutschland und letztlich durch die März-Ereignisse des Jahres 1848 gezwungen worden, dem revolutionären Geist Raum zu bieten. Und so wurden in Preußen in den selben Tagen, an denen man für die Beschickung des Frankfurt Parlaments für die Ausarbeitung einer neuen Bundesverfassung zur Wahlurne schritt, gleichzeitig die Abgeordneten gewählt, die als preußische Nationalversammlung vom 22. Mai an mit der Krone eine Verfassung verhandeln sollten. Naturgemäß waren die besseren Kräfte nach Frankfurt gegangen, unter anderem ein Otto von Bismarck, der zwei Jahrzehnte später die maßgebliche Rolle bei der Vollendung der Einheit Deutschlands spielen wird.
Die Gesamtzusammenhänge hier in einer kurzen Fassung darzulegen ist unmöglich. Zu verstrickt sind die mannigfaltigen innen- wie außenpolitischen Aspekte dieser Zeit. Die Unabhängigkeit des Königs von Preußens vom vatikanischen Lehensrecht, die Zerschlagung des heiligen römischen Reiches deutscher Nationen durch Napoleon, die daraus resultierenden Macht-Interessen der jesuitisch bestimmten Wiener Hofburg, die dem Beispiel Frankreichs folgende, gesamtdeutsche Demokratisierungsbewegung in den Einzelstaaten sowie die Paulskirchenversammlung zur Findung einer neuen Reichs- bzw. Bundesverfassung greifen hier maßgeblich ineinander.
Für die Geschehnisse in Preußen während der preußischen Nationalversammlung lesen wir in Schlosser’s Weltgeschichte für das deutsche Volk von „maßlosen Übergriffen der Demokratie“ von „sich mehrenden Konflikten: bei der beginnenden Verfassungsberatung beging die Versammlung u.a. die große Thorheit, den königlichen Titel ‚von Gottes Gnaden‘ mit 217 gegen 134 Stimmen zu streichen“. Wir lesen angesichts der gegenwärtigen Situation im Deutschland des Jahres 2019 sensibilisiert weiter: „Die Demokratie schlug jetzt, da der Boden ihr in Frankfurt zu heiß geworden, in Berlin ihr Hauptquartier auf“ und nicht zuletzt, auch hier mahnt die Gegenwart, „die Mitglieder der rechten Seite der Nationalversammlung sahen sich von rohen Gesellen bedroht, denen niemand ihr Handwerk legte“. Letzteres erinnert stark an die antifaschistischen Kräfte der deutschen Gegenwart, nicht wahr?
Dazu lesen wir in Konrad Sturmhoefel’s „Deutsche Geschichte Zweiter Teil“ von Zitat, „gewissenlosen Demagogen, die den Pöbel erhitzten“, was letztlich zur Erstürmung des Berliner Zeughaus führte. Solche von linken Revolutionären angefachten Unruhen steigerten sich ab dem 10. Juni zusehends bis am 12. November Ruhe und Ordnung erst dadurch wiederhergestellt werden konnten, dass der Belagerungszustand über Berlin verhängt wurde, um eine Wiederholung der blutigen Geschehnisse des März zu verhindern. Die weitere Entwicklung im Wortlaut Sturmhoefels:
„Nun versammelten sich zwar am 27. November, entsprechend dem königlichen Edikte, die Abgeordneten in Brandenburg, aber infolge innerer Zwistigkeiten gelangte man zu keinen Ergebnissen. Am 5. Dezember löste der König die Nationalversammlung auf, verkündete jedoch zugleich eine Verfassung, die sich die namentlich von Waldeck geleiteten Vorarbeiten zunutze machte. Damit war der innere Friede hergestellt; es wäre gut gewesen, wenn der König, ebenso aber auch die verschiedenen Parteien, an den nunmehr gewonnen Richtlinien festgehalten hätten. Jedenfalls war, wie in Wien, so in Berlin die Regierung genügend erstarkt, um sich gegenüber den Frankfurter Entwicklungen eine selbständige Stellung zu wahren.“
(Konrad Sturmhoefel, Geschichte des Deutschen Volkes, Zweiter Teil, Leipzig, 1926)
Anmerkung: Nur diese selbständige Stellung Preußens ermöglichte die Gründung des zweiten deutschen Reiches 1871 ohne Abhängigkeit von Österreich, Frankreich und dem Vatikan. Wen wundert es also, wenn die Reaktion des preußischen Königs fortan von allen Feinden der souveränen Unabhängigkeit verteufelt wurde?
Die oktroyierte Verfassung: Bruch mit der Revolution.
„Am 5. Dezember löste ein königlicher Erlass die preußische Nationalversammlung auf. Zugleich gab der König nun aus eigener Machtvollkommenheit eine Verfassung, bei welcher die Vorarbeiten und Vorschläge der Nationalversammlung sowie auch die Beschlüsse des Frankfurter Parlament gebührend berücksichtigt seien, und für welche außerdem eine Revision auf dem Wege der ordentlichen Gesetzgebung durch die demnächst zu berufenden Kammern vorbehalten wurde. Die Verfassung war verständiger der Wirklichkeit der Dinge entsprechender, als was der radikale Doktrinarismus der Nationalversammlung ausgeheckt hatte, und sie war freisinnig genug: wenn sie ohne Vorbehalt als der wahre Ausdruck einer politischen Notwendigkeit, von welcher der König selbst innerlich durchdrungen gewesen wäre, gegeben war, so konnten die Dinge zum Guten sich wenden, und man hätte den König nicht tadeln dürfen, daß er sich einer unbequemen, unfruchtbaren und lähmenden Körperschaft, wie die konstituierende Versammlung war, angesichts der Krisis in der deutschen Frage, die jetzt heraufzog, entledigte. Gemäß dieser oktroyierten Verfassung wurden die Kammern, welche diese voraussetzte, auf den 26. Februar 1849 nach Berlin berufen.
So hätte denn in Preußen wie in Österreich die Bewegung mit einem ersten Siege der Regierungsgewalt geendigt. Was immer von Zugeständnissen an die Märzerrungenschaften noch auf dem Papiere stand, das demokratische Prinzip war unterlegen. In den beiden mächtigsten deutschen Staaten hatte sich die Monarchie siegreich behauptet.
(Fr. Chr. Schlosser’s „Weltgeschichte für das deutsche Volk.“ Von neuem durchgesehen und ergänzt von Dr. Oskar Jäger und Dr. Franz Wolff. Original-Volks-Ausgabe. Siebzehnter Band, 23. Auflage, Berlin, 1893. Seite 51ff.)„
Anmerkung: Das „demokratische Prinzip“ konnte in der Folge nur durch Sozialdemokratie, Weltkrieg, gewaltsamen Putsch und Verfassungsbruch die Gewalt des autoritären Staates an sich reißen. Dies geschah am 9. November 1918 und dauert bis zum heutigen Tage an.
Das wohl größte Problem bei der möglichen Abwendung dieses rechtlosen Zustands ist, dass die Preußen wie auch die übrigen Deutschen seit dem Tage des Putsches und Verfassungsbruches vom 9. November 1918 durch die Wirren der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus, der Teilung in BRD und DDR mittlerweile vollkommen vergessen haben, was ein autoritärer und souveräner Staat tatsächlich ist.
Wenn es heißt „Eine Verfassung kann als zwischen freien Menschen geschlossener Vertrag zum Schutz ihrer Freiheiten aufgefasst werden.“ und wir aber im Falle Preußens vor einer vom König oktroyierten Verfassung stehen, dann sollte man sich dabei der Worte des großen Friedrich erinnern:
„Ich werde ihre Freiheit sogar gegen ihren Willen aufrecht erhalten.“
Der Hohenzoller und König von Preußen Friedrich Wilhelm gab endlich am 31. Januar 1850 nach eingehender Beratung mit den Kammern dem Königreich Preußen die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat und damit dem preußischen Volk das Recht. Entsprechend heißt es:
„Das Volk hat ein Recht auf Erhaltung und Beobachtung der Verfassung und auf die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten nach Maßgabe der Verfassung und der Gesetze des Landes.“
(Das Staatsrecht der preußischen Monarchie, Band 1, 1899, Seite 356)
Durch Geschichtsfälschung und Lügen fürchten moderne Deutsche einen solchen „autoritären“ Staat. Sie lernen nicht, dass ein wahrhaftiger Staat dem Schutz und Wohle seiner Bürger verpflichtet ist. Zum Verständnis seien hier einige wenige Artikel der preußischen Verfassung gegeben, die sich dabei als Vorlage des Grundgesetzes entpuppt:
Art. 4. Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich. Standesvorrechte finden nicht statt. Die öffentlichen Ämter sind, unter Einhaltung der von den Gesetzen festgestellten Bedingungen, für alle dazu Befähigten gleich zugänglich.
Art. 6. Die Wohnung ist unverletzlich.
Art. 7. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.
Art. 9. Das Eigenthum ist unverletzlich.
Art. 10. Der bürgerliche Tod und die Strafe der Vermögenseinziehung finden nicht statt. [Unbedingt recherchierenswert]
Art. 12. Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Vereinigung zu
Religionsgesellschaften (Art. 30 und 31) und der gemeinsamen häuslichen und
öffentlichen Religionsübung wird gewährleistet.Art. 20. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.
Art. 21. Für die Bildung der Jugend soll durch öffentliche Schulen genügend gesorgt
werden. Eltern und deren Stellvertreter dürfen ihre Kinder oder Pflegebefohlenen nicht ohne den Unterricht lassen, welcher für die öffentlichen Volksschulen vorgeschrieben ist. [Heimbeschulung]Art. 27. Jeder Preuße hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern. Die Censur darf nicht eingeführt werden; jede andere Beschränkung der Preßfreiheit nur im Wege der Gesetzgebung.
Art. 29. Alle Preußen sind berechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln.
Art. 105. Zur Aufrechthaltung der Ordnung kann nach näherer Bestimmung des Gesetzes durch Gemeindebeschluß eine Gemeinde-Schutz- oder Bürgerwehr errichtet werden.
Liest man diese wenigen Artikel vor dem Hintergrund, dass in Preußen große Männer wie Thomasius, Friedrich der Große, Kant, von Stein, Hardenberg, Scharnhorst und so viele andere geistreiche Menschen mehr wirkten, wird leicht ersichtlich: Der verfassungsmäßige preußische Staat ist selbst mit seiner „oktroyierten Verfassung“ ein Garant bürgerlicher Rechte und der Freiheit. „Salus publica suprema lex esto!“ gab Hardenberg 1819 vor: Das allgemeine Wohl ist das höchste Gesetz.
Diesen Grundsatz finden wir 21 Jahre nach Verfassungsgebung in Preußen auch in der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 als Staatszweck wieder: „Schutz des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechts sowie Pflege der Wohlfahrt des Deutschen Volkes.“ Mit diesen Worten manifestierte niemand geringerer als der Preuße Otto von Bismarck das Ende der links-libertären, demokratischen Revolution im Deutschen Reich – jedenfalls für 47 Jahre, bis die Reichsverfasssung wie auch die preußische Verfassung per Putsch gewaltsam gebrochen und auf Eis gelegt wurde.
Mit dem eindringlichen Hinweis, dass mit der nach wie vor gültigen Verfassung Preußens den Deutschen der Schlüssel zum Weltfrieden in den Händen liegt, empfehlen wir nunmehr, nachdem wir erfahren haben, wie diese Verfassung zustande gekommen ist, selbige einmal zu lesen:
Verfassungsurkunde für den preußischen Staat vom 31. Januar 1850.
„Jeder Deutsche soll wissen, daß der Geist Preußens nicht zugrunde gehen darf, es sei denn, der Deutsche gäbe sein Vaterland auf.“
(Dieter Wildt – Deutschland deine Preußen, 1966)
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