Diese herzzerreißende Episode im Leben des jungen Prinzen, der später Kaiser Wilhelm I. werden wird, führt eindrucksvoll vor Augen, was es bedeutet, die Bürde zu tragen, als Prinz in das Haus Hohenzollern geboren zu werden: Pflichtbewusstsein bis zur Selbstaufgabe, dem Wohle des Staates ist alles unterzuordnen. Wir tauchen ein in das Jahr 1821, Wilhelm ist 24 Jahre alt.
Da die Ehe des Kronprinzen [später Friedrich Wilhelm IV.] kinderlos blieb, so mußte man bereits mit der Möglichkeit rechnen, daß die Krone dereinst auf den Prinzen Wilhelm übergehen könne. An diesem zweiten Sohne erlebte der König [Friedrich Wilhelm III.] die Freude, die jedem Vater die liebste ist: er sah in ihm ein helleres Abbild seines eigenen Wesens. Ebenso schlicht, verständig und pflichtgetreu, nur ungleich heiterer, entschlossener, frischer als sein Vater, war der ritterliche junge Prinz jetzt schon die Hoffnung der Armee, ein geborener Heerführer, streng und gütig zugleich, wie es dem Soldatenherzen wohlthut; Offiziere und Mannschaften gingen für ihn durchs Feuer. Sein Vater hatte ihn ganz zum Soldaten erziehen lassen, da die unkriegerische Natur des Kronprinzen sich bald offenbarte. Prinz Wilhelm widmete sich seinen militärischen Aufgaben mit anhaltendem Eifer; er führte gleichzeitig zwei große Commandos, über das brandenburgische Armeecorps und über eine Gardedivision.
Von seiner politischen Gesinnung wußte man bisher nur, daß er von dem Berufe des unbeschränkten preußischen Königthums sehr hoch dachte und sich durchaus als zweiter Unterthan seines Vaters fühlte. Er lebte und webte in den Ueberlieferungen des Befreiungskrieges und erwies den Helden jener großen Zeit herzliche Verehrung, auch dem bei Hofe arg verlästerten greisen York; die Flüsterreden der Verleumder fochten sein freies Gemüth nicht an. Gleich seinem Vater betrachtete er den Bund der Ostmächte als die Bürgschaft des Völkerfriedens, und gleich ihm gab er den Russen vor den Oesterreichern den Vorzug; mit ihnen hatte er einst seinen ersten Waffengang gethan, und seit er seine Lieblingsschwester, die Großfürstin Charlotte, auf ihrer Vermählungsreise begleitet, blieb er mit dem Petersburger Hofe in vertraulichem Verkehr.
Und diesem Sohne, der seinem Herzen so nahe stand, mußte der König die liebsten Träume der Jugend grausam zerstören. Prinz Wilhelm liebte die Prinzessin Elise Radziwill, die schönste und holdeste unter den jungen Damen des Hofes.
Sie schien wie für ihn geschaffen, aber ihre Ebenbürtigkeit ward bestritten. Denn obwohl dies alte litthauische Dynastengeschlecht durch Reichthum und historischen Ruhm manches deutsche Fürstenhaus überstrahlte, und einmal schon, in den Tagen des großen Kurfürsten, ein Hohenzoller eine Radziwill als ebenbürtige Gemahlin heimgeführt hatte, so waren doch neuerdings am preußischen wie an allen deutschen Königshöfen strengere Rechtsbegriffe zur Herrschaft gelangt. Seit den Zeiten Friedrich’s des Großen stand der Grundsatz fest, daß nur die Töchter der regierenden Fürstenhäuser und der vormaligen reichsständischen Landesherren für ebenbürtig gelten sollten; der König selbst erkannte diese Regel an, indem er bei seiner zweiten Vermählung öffentlich aussprach, daß er nach der Verfassung seines Hauses mit der Tochter einer reichsgräflichen Personalistenfamilie nur eine morganatische Ehe schließen dürfe.
Fünf Jahre hindurch wurde nun von beiden Seiten Alles aufgeboten um die Zweifel zu beseitigen und dem Prinzen sein ersehntes Eheglück zu ermöglichen. Durch den Fürsten Anton Radziwill aufgefordert, schrieb Karl Friedrich Eichhorn ein Rechtsgutachten, das sich für die Ebenbürtigkeit des Hauses Radziwill aussprach; jedoch die Ansicht des großen Staatsrechtslehrers stieß bei anderen namhaften Juristen auf wohlbegründeten Widerspruch. Dann tauchte der Vorschlag auf, Prinz August von Preußen solle die Prinzessin an Kindesstatt annehmen; aber fünf der Minister erwiderten nach ihrer Amtspflicht, die Adoption könne das Blut nicht ersetzen. Unterdessen vermählte sich der dritte Sohn des Königs, Prinz Karl mit einer weimarischen Prinzessin, und der großherzoglich sächsische Hof erklärte nachdrücklich, daß er für die Kinder dieser Ehe das Vorrecht beanspruchen müsse falls der ältere Bruder seiner Neigung folge.
Nunmehr ward die Frage sehr ernst; es drohte ein Streit um die Erbfolge, der vielleicht den Bestand der Dynastie gefährden konnte. Auf die wiederholten Vorstellungen seiner Räthe beschloß der König, tief bekümmert, sein Ansehen zu gebrauchen (1826). In einem von Zärtlichkeit überströmenden Briefe hielt er dem Sohne vor, was alles vergeblich versucht worden sei, und wie nun doch nichts übrig bleibe als die harte Pflicht, dem Wohle des Staates, des königlichen Hauses eine edle Neigung zu opfern. Als der Prinz dies Schreiben durch General Witzleben empfing, war er anfangs ganz zerschmettert; dann raffte er sich zusammen, und noch am selben Abend schrieb er dem Könige, daß er gehorchen werde. In jener einfachen, kunstlosen und doch so tief zur Seele dringenden Sprache, die ihm natürlich war, schüttete er dem Vater sein Herz aus. Er versprach das Vertrauen des Königs zu rechtfertigen durch Bekämpfung seines tiefen Schmerzes, durch Standhaftigkeit im Unabänderlichen, und bat um Gottes Beistand, daß er ihn nicht verlasse in dieser schweren Prüfung. Dem theuren Vater aber solle sein Herz jetzt inniger denn je angehören, denn dessen väterliche Liebe sei nie größer gewesen als in der Art der schweren Entscheidung. Witzleben bemerkte dazu in seinem Tagebuche: „welch ein Sohn! welch ein Vater!“ Drei Jahre darauf schloß der Prinz mit der Prinzessin Augusta von Weimar die Ehe, welche dem königlichen Hause den Stammhalter schenkte. Also erzog eine unerforschlich weise Waltung der Nation ihren Helden und lehrte den gehorchen und
entsagen, der einst Deutschland beherrschen sollte.
Quelle: Heinrich von Treitschke – Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Band 3.
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